Challenge Barcelona 4.10.2009

von Michael Bayer

Es gibt viele Fragen, die man sich vor, während und nach einem großen Rennen stellen kann. Monatelang fragt man sich, ob das Training wie geplant läuft und ob es überhaupt anschlägt. Im Rennen fragt man sich öfter mal, warum man diesen Quatsch macht. Und nach dem Rennen fragt man meistens, wo man sich fürs nächste Jahr anmelden kann.

Ich hatte in diesem Jahr mehrfach die Gelegenheit, mir all diese Fragen zu stellen. Mai, mein erster Marathon. Es lief super bis km 35, danach hatte ich nicht mal mehr Nerven, um mir die Sinnfrage zu stellen. Es kam trotzdem eine gute Anfängerzeit dabei heraus, weshalb ich mir schnell die Frage nach der Anmeldung 2010 stellte. Einen Monat später, meine erste Mitteldistanz. Diese Katastrophe ging einfach nicht zu Ende und ich habe mich schlurfenden Schrittes gefragt, was eigentlich schief läuft. Ich trainiere "Laufen" wie verrückt und brauche hier fast zwei Stunden für den Halbmarathon. Anschließend im September, meine erste Mitteldistanz, zu der ich angemessen trainiert antrat. Hier ging es gegen Sisu's Gunnar zwar nicht um die Wurst, dafür aber um den Burger. Nur soviel dazu, ich stehe jetzt in der Pflicht, den nächsten McDonalds Besuch zu zahlen. Dann endlich, nach fast einem Jahr Training, vielen Generalproben und einer letztendlich doch spürbaren Trainingsentwicklung, der 4. Oktober 2009, meine erste Langdistanz bei der Challenge Barcelona- Maresme.

Anfänglich noch als einziger Sisu gemeldet, kamen im Sommer noch Bertram und Nana gemäß dem Motto "Wo ist die nächste Anmeldung?" hinzu. Unseren damaligen Schwimmtrainer Jan, der irgendwann auch mal gemeldet war, hatte wohl im Laufe des Frühjahres die Wirklichkeit eingeholt und mit ihr die Erkenntnis, dass Verpflichtungen und Ironman manchmal eben doch schwer zusammenpassen. Kurzum, wenige Wochen vor Start flog sein Name aus der Meldeliste und wir alleine nach Barcelona.

Aaahh, Barcelona. Die Stadt der Eroberer. Von hier aus zog Christoph Columbus in die Welt und kam mit der Entdeckung Amerikas zurück. Von hier aus wollte auch ich mich aufmachen und mit der Entdeckung meiner eigenen Grenzen wiederkehren. Der erste Aufbruch fand allerdings erstmal ins 50 km entfernte Calella de Mar statt. Wie sich herausstellte, sollte das Rennen nicht ein einziges Mal auch nur in die Nähe von Barcelona kommen. Die Ryanair'sche Marketingstrategie ist wohl auch bei der Challenge Familie eingezogen und große Namen werden mit kleinen Orten verbunden. Wer also mit Neo, Rad oder Laufschuhen durchs gesperrte Barcelona ziehen will, kann auch in Zukunft nicht auf die Challenge setzen, sondern wird wohl auf eine Wiederholung der Olympischen Spiele hoffen müssen. Was man dafür aber in Calella erleben durfte, und was sicherlich bei jeder anderen Langdistanz ähnlich ist, ist die Triathleten- Freakshow. Die Pastaparty ist eigentlich eine Finisher-Shirt Parade, diejenigen mit Sixpack unterm Shirt laufen ständig ohne selbiges rum und die Vortage werden genutzt, um nochmal mit ordentlich Druck auf dem Kessel über die Originalstrecke zu peitschen. Zugegeben, es war toll, Teil der Invasion zu sein und sich als moderner Gladiator auf die Schlacht vorzubereiten, aber wäre ich hier nicht mit Bertram und Nana angetreten, deren relaxte Stimmung vorm Rennen als Gegenpol herhielt, ich glaube ich hätte mich eingereiht in die Schlange der Heißdüsen. So blieb es aber bis zum Renntag bei einer sinnvollen Vorbereitung mit ein wenig Schwimmen hier, einer ruhigen Stunde Radfahren da und einem abendlichen, lockeren Lauf dort.

Mit ganztägig strahlendem Sonnenschein und ca. 26°C am Renntag mag man sich zwar als Strandurlauber wohl gefühlt haben, als Triathlet wurde es allerdings nach 2-3 Stunden etwas nervig, weil anstrengend. Vorher galt es aber noch einen leider sehr traurigen Start zu überstehen. Ein paar Worte auf Spanisch, etwas Beifall, ein Knall und schon waren die Profis im Wasser unterwegs. Schade, meine erste Langdistanz und der Start beim Jedermanntriathlon hinter der grünen Heide ist spektakulärer. Egal, wenigstens waren die Startgruppen recht klein und die befürchtete Prügelei an der ersten Schwimmboje blieb aus. Im leicht welligen Mittelmeer musste ein paar Meter raus, einmal den Strand hoch und wieder runter und wieder zurück zum Land geschwommen werden. Zurück an Land durfte ich wieder etwas über mich lernen; nach ca. 1:18 h im salzigen Mittelmeer ist es egal, wer und wie viele vor einem bereits daran gelutscht haben, aber die erste Wasserflasche, die mir ein Helfer hinhielt, wurde in dankbarer Gierigkeit und etwas ungelenk an bzw. in den Mund gehalten. Auch der Wechsel war eine Erfahrung für sich, schließlich knallt einem nicht jeden Tag eine freundliche aber völlig fremde Frau eine Hand voll Sonnencreme ins Gesicht und Nacken.

Danach galt es auf dem Rad zwei 66 km Runden sowie eine 44 km Runde zu überleben. Zwar genauso wellig wie das Mittelmeer gingen die 180 km im Nachhinein jedoch betrachtet wesentlich unspektakulärer vorbei als befürchtet. Irgendwann traf mich die Erkenntnis, dass der Akku alle zu sein scheint, aber es wohl noch eine Stunde bis zum nächsten Wechsel dauern würde. Hatte ich mir insgeheim eine Zeit von 5:30 h erhofft, musste ich mich am Ende ziemlich strecken, um überhaupt noch die kleinen Anstiege mit sprichwörtlich erhobenem Haupt zu überwinden. Aber weil ja immer die anderen schuld sind, schiebe ich meine zusätzlichen 7 min über 5:30 h einfach auf die drei holprigen An- und Abfahrtskilometer.

Zweiter Wechsel, erster Gedanke an Streik. Warum mussten die auch Stühle in die Wechselzone stellen? Wissen die denn nicht, dass es da ganz schwer ist, wieder rauszukommen? Ich glaube, ich habe da 2 min gesessen und über den kommenden Lauf nachgedacht. Keine Ahnung was, aber ich glaube wirklich, ich habe "gedacht".

Egal! Beim Weg aus dem Wechselzelt ging es wieder am freundlichen Helfer mit der Wasserflasche vorbei und erneut gab es einen kräftigen Schluck aus der Gemeinschaftspulle. Tja, was soll ich jetzt noch über den Lauf sagen. Ich habe mal gehört, dass am Ende jeder für sich allein stirbt. Stimmt! Mein Sterben ging bei Kilometer 2 los und dauerte so ziemlich genau 5 Stunden. Unterwegs noch Bertram getroffen und Luft zum Schnattern gehabt, dachte ich, so kann es bis zum Ende weitergehen. Falsch gedacht, die Gehpausen an den Wasserständen wurden immer länger und die Schlurfschritte immer flacher und langsamer. Völlig am Ende, haben mich bei meinen Gehpausen sogar noch andere Geschlagene überholt. Wieso können manche eigentlich schneller gehen als andere? Und sollte ich vielleicht für den nächsten Totalausfall einfach mal "schnell gehen" trainieren? Nachdem ich unterwegs irgendwann auch alle meine ambitionierten und weniger ambitionierten Ziele längst über Bord geworfen hatte und mir jegliche zu erwartende Häme und Witze egal waren, raffte ich irgendwoher dann aber doch noch die Energie zusammen, um die letzten 7 km durchzulaufen.

Durchzulaufen zum Ziel, ein Ort an den ich nicht viele Erinnerungen habe. Ich weiß noch, dass mir kalt war, sehr kalt und dass ich mich irgendwie fertig gefühlt habe, weil mein Kreislauf nicht mehr wollte. Ich weiß auch noch, dass die viel besprochene Zielverpflegung uninteressant wird, wenn man mit leichtem Brechreiz kämpft. Für den Zieleinlauf hab ich's also nicht getan.

Ab hier wird es schwierig. Ich habe 12:09 h gebraucht, um das Rennen zu beenden, vier Wochen aber habe ich gebraucht, um herauszufinden, dass es mir trotzdem Spaß gemacht hat. In den ersten Tagen empfand ich neben Euphorie auch so etwas wie Langweile. Warum war es "langweilig"? Man schwimmt im Meer (salzig!), danach steigt man schon gut angeschlagen aufs Rad und fängt an Gels zu futtern als gebe es kein morgen und anschließend kraucht man im Fast- Delirium in die Laufschuhe und läuft los…. All das verläuft recht unspektakulär, im unteren Pulsbereich und ohne viel Hektik. Schmerzen kommen auf, nicht weil man es krachen lässt, sondern weil man ewig unterwegs ist. Und dabei kreisen die Gedanken um wenig anderes als um einen selbst und das momentane Körpergefühl.

Es wurde an dieser Stelle schon einmal subjektiv diskutiert, was ein richtiger Triathlon ist, da will ich nicht einstimmen. Aber was mir bei der Langdistanz im Vergleich zur Kurz- oder Mitteldistanz fehlt, ist ein Renngefühl. Für die meisten an der Startlinie bietet eine Langdistanz einen Rahmen um gegen sich selbst anzutreten und zu schauen, zu was man in der Lage ist. Die kürzeren Rennen hingegen sind spannungsgeladen, es ist hektisch, sie tun weh und man macht trotzdem weiter und am Ende sucht man sich persönliche Gegner und verliert und gewinnt gegen sie. Es kochen die Emotionen.

Was die Langdistanz wiederum so attraktiv macht, ist das Ausmaß ihrer Distanzen. Man muss notorisch trainieren, um eine Chance auf das pure Ankommen zu wahren und hat man es einmal geschafft, ist man fast schon auf der Suche nach der nächsten Herausforderung. Wo ist der eigene Anschlag und wie fühlt sich der Weg dahin an?

Was bleiben also für Fragen nach dieser Saison, nach diesem für mich wichtigen Rennen? Ich war schon vor Barcelona für Roth 2010 angemeldet, die Frage nach der Anmeldung stellt sich also nicht mehr. Ich freue mich aber aufs Training, ich freue mich auf das nächste Delirium, den Erkenntnisgewinn bezüglich des Spaßes und auf eine hoffentlich bessere Zeit.


© TriGe Sisu Berlin; 26.11.2009