Bericht Almetal-Marathon – von Harth-Ringelstein nach Paderborn 17.10.2021

von Denise Kottwitz

Der Trainingsfokus im letzten Winter war bei mir vor allem das Laufen, nicht zuletzt weil ich dort mit meinem Mann unter Einhaltung aller Kontaktbeschränkungen ungehindert trainieren konnte. Seine Idee war es auch, im Frühjahr einen Marathon in Eigenregie durchzuführen. Lediglich mit Fahrradbegleitung einer Freundin ging es Ende April zwei Runden um den Partwitzer See. Trotz der Einsamkeit lief es ganz gut, und ich bewältigte die Strecke in 3h43. Vor allem wegen schmerzender Oberschenkel musste ich damals etwas Tempo auf den letzten Kilometern lassen und landete so vier Minuten über meiner Bestzeit vom Oktober 2018.

Danach will mir Umschwung auf Triathlon nicht so richtig gelingen, Spreewald muss ich wegen einem heißergatterten Impftermin sausen lassen, und ein weiteres Rennen lockt nicht so richtig. Also soll der Schwerpunkt 2021 weiter das Laufen sein. So erfülle ich mir die langersehnte erfolgreiche Teilnahme an der sächsischen Panoramatour und will beim Herbstmarathon noch eins draufsetzten.

Während sich das Training hervorragend gestaltet, ist die Wettkampfplanung eine Katastrophe. Zuerst denke ich an den 3-Länder-Marathon am Bodensee, halte ihn wegen der Ländergrenzen für zu riskant (ausgerechnet dieser Lauf findet dann statt). Magdeburg klingt gut – führt dann aber nur eine Corona-konforme Variante (8 kleine Runden) durch. Der mitteldeutsche Marathon Halle-Leipzig wäre am gleichen Wochenende – abgesagt. Bonn ist in den Herbst verschoben. Warum nicht, wir wollen uns gerade anmelden: abgesagt! Oldenburg... abgesagt. Dann entdecke ich den Almetal-Marathon: max. 300 Teilnehmer, hauptsächlich außerhalb der Stadt und 2G, was sollte da schief gehen, und eigentlich mögen wir so familiäre Veranstaltungen besonders. Außerdem waren wir noch nie in Paderborn.

Der Lauf führt auf dem Radweg entlang der Alme, von einem Örtchen namens Ringelstein in den Sportpark nach Paderborn. Ist also eine Punkt-zu-Punkt Strecke. Parallel werden noch 2 Halbmarathons angeboten, man kann den ersten Teil (Oberes Almetal) oder den zweiten Teil (Unteres Almetal) laufen. Von den Zielorten wird jeweils ein Bustransfer zum Start angeboten. Startunterlagen und Wechselbeutel wurden vor ab per Post verschickt, so dass am Bus lediglich die Impfkontrolle stattfindet. Die Fahrt fühlt sich ziemlich lang an, zwischendurch kreuzen wir auch die Laufstrecke.

Wir werden an einem Parkplatz raus gelassen, bis zum Start sind noch etwa 40 Minuten. Es ist ziemlich kalt, so um die sechs Grad. Zweistellig wird es noch, Sonne ist keine angesagt, aber auch kein Regen und kein Wind, also alles gut. An Ort und Stelle heißt es dann umziehen und sich bereit machen, denn der Kleidertransport erfolgt nur von hier – der Start ist nochmal ca. 1,5 Kilometer entfernt. Meine ersten Gesprächspartner sind Wiederholungstäter. Sie sind alle 4 vorherigen Ausgaben (im letzten Jahr als Geistermarathon mit Markierung auf der Strecke durchgeführt) mitgelaufen. Wolfgang wohnt hier und ist die Strecke in der Coronazeit 40 Mal gelaufen! Klingt also vielversprechend.

Wir traben fröstelnd zum Start, plauschen noch mit dem ein oder anderen – fast alle kennen sich hier aus. Ist ja auch ein Lauf von Läufern für Läufer. 12 Sportvereine sind an der Organisation beteiligt, bei etwa hundert Teilnehmern kommt also ein Großteil aus diesen. Der Startbereich besteht aus einem Schild, der Startschuss wird per Handykommando an die Zeitnahme durchgegeben. Auf geht’s!

Mein Plan für heute ist so defensiv wie möglich rangehen, das heißt etwa 5:05er Schnitt – gucken was der Puls macht und die Strecke. Perspektivisch geht es abwärts, aber ein paar kleine Anstiege soll es dennoch geben. Untergrund hauptsächlich Asphalt, aber es wird auf Dreck von Holzarbeiten und Maisernte hingewiesen – wird aber nicht vorkommen. Ich bin anfangs allein, nach etwa einem Kilometer hat sich etwas vor mir eine kleine Gruppe gebildet. Ich schließe auf, merke aber dass es hier unharmonisch zugeht und irgendwie auch zu viel Zug drin ist. Also nehme ich wieder ein paar Schritte raus, Wolfgang auch. Sehr praktisch, denn er kennt sich hier aus. Wir laufen die nächsten 15 Kilometer Seite an Seite.

Die ersten Ortschaften werden passiert, und ich bin über die Stimmung überrascht. Ein Posaunenspieler, Kinder haben die ganze Straße mit Kreide bemalt, etwas später eine Großfamilie mit Lautsprecherbox und motivierender Musik. Versorgung gibt es alle 2 bis 3 Kilometer, wenn auch nur Wasser und Apfel. Cola soll es laut Ausschreibung erst ab Kilometer dreißig geben. Die Strecke hat nicht zu viel versprochen: etwas Waldweg, dann ein Brückchen, dann ein Maisfeld und ein herrlich breites Tal. Wenn die Sonne scheinen würde, gar nicht auszumalen diese Idylle! Wir sind etwas langsamer unterwegs ich dachte, und mein Puls ist vorbildlich niedrig, und ich habe das Gefühl bei Wolfgang etwas bremsen zu müssen. Also setze ich mich etwas ab – vielleicht doch zu mutig oder übermütig? Trotz des kleinen Teilnehmerfeldes überhole ich einige, werde aber auch von einer Frau eingeholt. Laut Wolfgang müsste ich somit auf dem 3. Rang sein.

Die Hälfte der Strecke ist geschafft. Neun Minuten langsamer als die Halbmarathonzeit vor sieben Wochen. Zu dem Zeitpunkt denke ich noch, ob ich vielleicht etwas zu vorsichtig losgelaufen bin. Die Wewelsburg thront hier über einem. Obwohl diese nicht erklommen werden muss, wartet im Ort ein knackiger Anstieg, der dann aber in einen seicht abfallenden Feldweg übergeht. Hier kann man es rollen lassen, und ich habe für die nächsten Kilometer einen neuen Kompagnon. Übrigends reißt die Stimmung an der Strecke nicht ab. In jedem Ort wird man durch ein liebevolles Plakat begrüßt und die Großfamilie mit der Lautsprecherbox reist mit und steht immer wieder brüllend am Wegesrand.

Wolfgang hat mich bei Kilometer 28 wieder ein, wirklich abgesetzt hatte ich mich nicht. Er erzählt, was die Läufer so um uns rum so treiben. Er selbst läuft im Jahr an die 4000 Kilometer, ein Drittel davon in Wettkämpfen. Die Frau, die an uns vorbei gelaufen ist, hat schon über 500 Marathons in den Beinen. Sie und ein paar andere sind am Vortag (!) den Rothaarsteigmarathon gelaufen. Ich komme mir mit ein oder maximal zwei Marathons im Jahr fast minderbemittelt vor. Und ausgerechnet jetzt merke ich, dass mir Wolfgang zu schnell wird und ich abreißen lassen muss. Leider ist es mitnichten so, dass er schneller wird – ich werde langsamer. Zudem bekomme ich Durst (kein gutes Zeichen!), also nehme ich bei Kilometer 30 einen Becher mehr. Dabei habe ich doch regelmäßig getrunken und auch die Gels gleichmäßig zugeführt.

Der Einbruch ist da, und ich ärgere mich maßlos. Was habe ich falsch gemacht? So ein gutes Training, sowohl im Tempo als auch ausreichend lange Läufe. Ich ärgere mich, dass dies heute keine Früchte trägt. Aber noch mehr ärgere ich mich, dass ich mich ärgere. Klar kann ich das Tempo nicht halten, aber ich muss nicht gehen und habe null körperliche Beschwerden – keine Krämpfe oder andere Schmerzen. Es geht durch ein weiteres sehr schönes Tal. Aus der Ferne höre ich Dudelsackklänge, die sich zur Unterhaltung oder Motivation und Ablenkung aufgestellt haben. Immer öfter unterhalten auch Schilder zur Motivation bei: „noch 10 Kilometer“ oder „du siehst gut aus“.

Trotz meines langsamen Schrittes werde ich nur noch zwei Mal überholt und bin sonst ziemlich allein auf den letzten Kilometern. Beim Erreichen der Stadt treffe ich auf die letzten Läufer des zweiten Halbmarathons. Einer läuft in kompletter Feuerwehrausrüstung und ich fühle mich für ein paar Sekunden ganz leicht. Es geht noch um ein paar Gebäude rum, dann erblicke ich den Zielbogen und genieße fast die letzten Meter auf der Stadionbahn. Der Zieleinlauf ist Corona bedingt etwas traurig: kein Stadionsprecher, keine Begrüßung. Auf der Strecke wurde man an jeder Versorgungsstation namentlich erwähnt, hier weiß ich noch nicht mal ob es zum dritten Platz gereicht hat. Siegerehrung gibt es auch nicht. Was für ein trauriger Tag!

Optimismus und gute Laune kommen jedoch langsam wieder: 1) Die Uhr ist bei 3h43 stehen geblieben, da die Strecke etwas kürzer war – ist es mit etwa 3h45 immerhin mein drittschnellster Marathon gewesen. Von dieser Zeit träumen viele. 2) Ich bin Gesamtdritte und lande erstmals bei einem Marathon auf dem Podium (wenn auch nur theoretisch). 3) Marathonbestzeit (v.a. ohne Einbruch) bin ich mit deutlich weniger fokussiertem Lauftraining nach einer guten Triathlonsaison gelaufen. Na, wenn das keine Erkenntnis für die nächsten Jahre ist!

Mal abgesehen von meiner eigenen Performanz kann ich dem Lauf nur drei Daumen hoch geben: super organisiert, schöne Strecke, Bombenstimmung und tolle Leute. Ohne Coronabeschränkungen wäre es sicher noch eine schöne Zeit im Zielbereich geworden. Jetzt warte ich auf die Post und die wohlverdiente Finishermedaille... und ein bisschen noch auf die Erkenntnis, was ich beim nächsten Mal besser machen könnte.

 


© TriGe Sisu Berlin; 24.10.2021